Jüdischer Friedhof, Neustadt in Holstein

Kurzinformationen

Auf diesem denkmalgeschützten Friedhof sind über 100 im Nationalsozialismus verfolgte jüdische Frauen, Männer und Kinder aus Deutschland und osteuropäischen Ländern bestattet.
Die meisten Opfer waren 1945 aus dem Konzentrationslager Stutthof über die Ostsee in die Lübecker Bucht verschleppt worden. Am 3. Mai 1945, kurz vor der Bombardierung der KZ-Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ sowie der Befreiung Neustadts durch die britische Armee, ermordeten deutsche SS- und Marinesoldaten sowie Polizisten hunderte dieser KZ-Häftlinge am Strand in Neustadt. Weitere starben später an den Folgen von KZ-Haft und Verschleppung.
Das Jüdische Komitee des Neustädter Displaced Persons-Lagers richtete den Friedhof 1946 ein und sorgte für Umbettungen aus Massengräbern am Strand und vom Friedhof des Landeskrankenhauses. Die Einweihung fand am 5. Januar 1947, die letzte Beerdigung im Oktober 1947 statt.

Besuchsinformationen

Der Friedhof ist frei zugänglich. Er ist ein Ort der Ruhe und des Gedenkens, dessen Würde zu wahren ist. Die Gräber dürfen nicht betreten und Grabsteine nicht berührt werden. Anstelle von Blumen werden kleine Steine auf die Grabmale gelegt. Besuchende tragen angemessene Kleidung, männliche Besucher – jung und alt – eine Kopfbedeckung. Am Schabbat (Samstag), an jüdischen Feiertagen und nach Sonnenuntergang wird der Friedhof nicht betreten. Eine Auflistung und Erklärung der jüdischen Feier- und Gedenktage finden Sie hier, die genauen Datumsangaben hier. Auf dem Friedhof wird nicht gegessen, getrunken oder geraucht und es werden keine Tiere mitgeführt. Die Störung der Totenruhe ist eine Straftat (§ 168 StGB).

Verantwortliche betreuende Körperschaft

Eigentümerin: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Neustadt in Holstein; Friedhofspflege: Stadt Neustadt in Holstein; nächste jüdische Gemeinde: Jüdische Gemeinde Lübeck e. V., Mitglied der Jüdischen Gemeinschaft in Schleswig-Holstein K.d.ö.R.

Bilder

15b juedischer Friedhof

Der Jüdische Friedhof in Neustadt in Holstein im Jahr seiner Einweihung, 1947. © Yad Vashem Photo Archive, Jerusalem, 3586/1

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Gedenkstein am Eingang des Friedhofs. Foto von 2005 (Foto: Wilhelm Lange / Stadtarchiv Neustadt)

03.05.2006

Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof am 7. Mai 2006. Dr. Gilel Melamed, ein Überlebender aus dem Stutthof-Transport, liest das Kaddisch (Totengebet). Links der Gedenkstein. (Foto: Wilhelm Lange / Stadtarchiv Neustadt)

Lage und Beschreibung

Der etwa 15 Meter breite und 20 Meter tiefe Friedhof befindet sich am Rand des Friedhofs der evangelischen Kirchengemeinde und ist auf drei Seiten durch eine Hecke von diesem umgeben und abgetrennt. Der Zugang erfolgt durch ein Tor zwischen Backsteinpfeilern in einer Mauer entlang des Graswegs. Zum Zeitpunkt seiner Einweihung war der Friedhof komplett von einer Mauer umgeben, die jedoch wegen baulicher Schäden teilweise durch die Hecke ersetzt wurde. 
An zentraler Stelle am Eingang des Friedhofs steht ein Mahnmal, auf dessen Vorderseite unter einem Davidstern in hebräischer Sprache folgender Text aufgebracht ist: „Zum Gedenken an die Heiligen Neustadts, die von Nazis ermordet wurden, menschliche Opfer am Donnerstag, 20. Ijar 5702 [3. Mai 1945] […], auch der Tag der Niederlage der Verräter. Der Gedenkstein ist ein Zeichen den Kindern Israels zum Gedenken, den Kindern der Nazis zur Schande.“ (Auszug) Seitlich stehen weitere Texte auf Deutsch und Englisch, der deutsche Text lautet: „Dem Gedenken der jüdischen Männer und Frauen[,] die als Opfer der Nazi-Verfolgung ihr Leben lassen mussten[.] Der größte Teil der hier Begrabenen ist am Tage des Einmarsches der alliierten Truppen am 3. Mai 1945 in Neustadt/Holstein gestorben.“
Insgesamt befinden sich auf dem Friedhof 103 Grabsteine. Männer und Frauen sind bis auf wenige Ausnahmen getrennt bestattet – die Frauen überwiegend auf der linken Seite, die Männer auf der rechten; die Zahl der beerdigten Frauen überwiegt. Auf der rechten Seite des Friedhofs sind zudem zwei Grabsteine für Kindergräber zu finden.  
Die Grabsteine sind größtenteils einheitlich und schlicht gestaltet. Typische Verzierungen wie Palmenmotive symbolisieren Hoffnung und Erlösung. Die Inschriften auf den Grabsteinen dokumentieren die Schicksale der Verstorbenen auf Hebräisch, Deutsch und Englisch und geben teilweise Hinweise auf ihre Herkunft. Einige der Gräber tragen keine Namen, sondern nur die KZ-Häftlingsnummern der Verstorbenen. Auffällig sind mehrere Grabsteine mit anderer Gestaltung, die im Auftrag der Angehörigen ein örtlicher Steinmetz anfertigte. Hier wird teilweise ein Kreuz als Symbol für den Todestag verwendet, was auf jüdischen Friedhöfen unüblich ist.

Geschichte und Kontext

Am 3. Mai 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden Neustadt in Holstein und die Neustädter Bucht Schauplatz von nationalsozialistischen Verbrechen und einer Schiffskatastrophe infolge der Bombardierung der mit KZ-Häftlingen belegten Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“. 
Auf zwei Lastkähnen hatte die SS Häftlinge des KZ Stutthof (bei Danzig) – Männer, Frauen und Kinder verschiedener Nationen, darunter viele Juden und Jüdinnen – über die Ostsee in die Lübecker Bucht verschleppt. Nachdem sie zuerst an der „Thielbek“ festgemacht wurden, landeten diese Lastkähne schließlich am Strand in der Nähe des Lotsenhauses zwischen Neustadt und Pelzerhaken. Hunderten KZ-Häftlingen gelang es an Land zu kommen. Dort und auf den Lastkähnen erschossen durch die Bevölkerung alarmierte SS- und Marinesoldaten sowie Polizisten viele von ihnen am Vormittag des 3. Mai, weitere auf dem Weg zur Marinekaserne auf dem Wieksberg. 
Viele der Ermordeten wurden zunächst in einem Massengrab in der Nähe der Anlandestelle der Lastkähne bestattet. Dieser Bestattungsort am heutigen Stutthofweg wurde dann ab 1946 zu einem offiziellen Friedhof. Dorthin ließen die britischen Militärbehörden auch angeschwemmte Leichen der Schiffskatastrophe der „Cap Arcona“ und der „Thielbek“ umbetten, die sich am Nachmittag des 3. Mai ereignet hatte. 1947 wurde dort ein Ehrenmal aufgestellt, 1948 erfolgte die offizielle Einweihung als Ehrenfriedhof. 
Parallel zur Anlage des Ehrenfriedhofs am Strand setzte sich das jüdische Komitee des Neustädter Displaced Persons-Lager dafür ein, jüdische Tote, die bis dahin in dem Massengrab am Lotsenhaus, in weiteren Einzel- und Massengräbern am Strand und auf dem Friedhof des Landeskrankenhauses bestattet waren, auf einem eigenen Friedhof würdevoll zu beerdigen. Bereits im August 1945 fanden dazu Kaufverhandlungen mit der Evangelischen Kirchgemeinde Neustadt über einen Teil der Friedhofsfläche am Grasweg statt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1946 wurden die ersten Grabsteine aufgestellt. Am 5. Januar 1947 erfolgte schließlich die Einweihung des Friedhofs, worüber in der jüdischen Zeitung „Unzer Sztyme“, die im DP-Lager Belsen herausgegeben wurde, ein ausführlicher Bericht erschien. Demnach hatten sich „am Neustädter DP-Lager Hunderte von Juden aus Neustadt und den umliegenden Städten und Dörfern sowie Delegationen anderer nationaler Komitees mit Kränzen versammelt und einen Trauerzug gebildet. In bedrückender Stille zog der Trauerzug mit den Delegationen an der Spitze durch die Stadt zu der Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof.“¹ Dort sprachen Rabbiner Joel Halperin und Paul Trepmann vom Zentralkomitee der Juden in der britisch besetzten Zone, außerdem Vertreter der Stadt Neustadt in Holstein. 

Bei einer anschließenden Trauerfeier im Kino des DP-Lagers Neustadt sagte Szlomo Leszman vom jüdischen Komitee Neustadts:

Wir haben nur Gräber – auf der Erde, in den Meeren, und sogar die Luft ist ein Massengrab unserer Millionen, die in Rauch verwandelt worden sind.²

Die hier Beigesetzten stammen aus Deutschland und einigen osteuropäischen Ländern. Alle sind Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Noch Wochen und Monate nach dem 3. Mai 1945 starben jüdische Patient:innen im Neustädter Landeskrankenhaus sowie jüdische Bewohner:innen des DP-Lagers an den gesundheitlichen Folgen von KZ-Haft und Verschleppung und wurden auf dem jüdischen Friedhof bestattet. Die letzte Bestattung auf diesem Friedhof fand im Oktober 1947 statt.

Gedenkkultur

Der jüdische Friedhof ist im Sinne des Denkmalschutzgesetzes Schleswig-Holstein ein Denkmal und nach dem Kriegsgräbergesetz geschützt. Er wird durch die Stadt Neustadt in Holstein gepflegt und erhält besondere Aufmerksamkeit an zwei zentralen Gedenktagen: dem 3. Mai, dem Jahrestag der Cap-Arcona-Katastrophe, und dem Volkstrauertag. Jährlich veranstalten die Amicale Internationale KZ-Neuengamme und die Stadt Neustadt eine Gedenkveranstaltung am Cap-Arcona-Ehrenfriedhof. Am selben Tag wird auf dem jüdischen Friedhof der Toten gedacht, wobei der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Lübeck das Totengebet spricht.

Schändung

Mehrfach war der Friedhof Ziel antisemitischer Angriffe. Besonders schwerwiegende Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 2003 und 2013. Im Mai 2003 wurden mehrere Grabsteine beschädigt und mit rechtsextremen Parolen verunstaltet. Die Täter, zwei junge Männer aus Neustadt und Cismar, konnten im April 2005 ermittelt werden. 2013 kam es erneut zu einer Schändung: Zwischen dem 30. April und dem 2. Mai wurden sieben Grabsteine umgestoßen und beschädigt, was in Verbindung mit der Gedenkfeier am 3. Mai gebracht wird. Die Täter konnten jedoch nicht ermittelt werden. 

Cap-Arcona-Dokumentationszentrum in Neustadt in Holstein

Bis 2028 entsteht im Stadtzentrum von Neustadt in Holstein neben dem zeiTTor-Museum ein modernes Dokumentationszentrum mit einer Ausstellung über die Ereignisse vom 3. Mai 1945. Ziel ist, die Ereignisse historisch einzuordnen, das Schicksal von Opfern und Überlebenden darzustellen, die Rolle von Tätern und Beobachtern zu hinterfragen und die Erinnerungskultur seit 1945 zu dokumentieren.

Parallel zum Dokumentationszentrum wird eine digitale Plattform aufgebaut, das „Cap-Arcona-Portal“. Es soll eine umfassende Online-Bildungsressource bieten und die Vernetzung mit anderen Gedenkorten stärken.

Weitere Informationen zum Dokumentationszentrum finden Sie auf der Webseite der Stadt Neustadt in Holstein: https://www.stadt-neustadt.de/Kultur-Tourismus/Museen/Museum-Cap-Arcona/#Dokumentationszentrum

Das Projekt wird von der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Schleswig-Holstein und der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten gefördert.

Autor/Autorin

Text: Ela Kaya; Redaktion: Dietrich Mau, Stefan Nies, Dr. Helge-Fabien Hertz
Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Steinerne Zeugen“ des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein, der Jüdischen Gemeinde Lübeck e. V., der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein K.d.ö.R. und der Stadt Neustadt in Holstein. Die Inhalte wurden durch Studierende der Kieler Universität erarbeitet.

Ela Kaya
Studentin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in den Fächern Englisch und Geschichte.

Dietrich Mau
Regionalforscher aus Neustadt in Holstein

Stefan Nies
Historiker und Kurator des Cap-Arcona-Dokumentationszentrums in Neustadt. Eigentümer des Büros für Geschichte, Hamburg, arbeitet für Museen, Gedenkstätten, Denkmalpflege.

Dr. Helge-Fabien Hertz
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen sowie Lehrbeauftragter an der CAU.

Weiterführende Informationen

Jochims-Bozic, Sigrun, „Lübeck ist nur eine kurze Station auf dem jüdischen Wanderweg“. Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein 1945-1950 (Reihe Dokumente, Texte, Materialien, Bd. 51), Berlin 2004

Mau, Dietrich, Wir besuchen den jüdischen Friedhof in Neustadt, in: Gedenken Bedenken – Informationen zur Erinnerungskultur im Bereich der Nordkirche, Nr. 6, Januar 2025 

Fußnoten


¹Zit nach: Harck, Hildegard u.a., Unzer Sztyme: jiddische Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone 1945–1947, Kiel 2004.

²Zit nach: Harck, Hildegard u.a., Unzer Sztyme. Jiddische Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone 1945 - 1947, Kiel 2004; siehe auch Jochims-Bozic, Sigrun, „Lübeck ist nur eine kurze Station auf dem jüdischen Wanderweg“. Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein 1945-1950 (Reihe Dokumente, Texte, Materialien, Bd. 51), Berlin 2004.